Hinweis: Der folgende Text ist ein Gastbeitrag. Er gibt die persönliche Auffassung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Der Beitrag ist keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Gesundheit.

Gastbeitrag: Ronja Büchner & Georg Schomerus

Ronja Büchner und Prof. Georg Schomerus zeigen in ihrem Gastbeitrag auf, dass Menschen mit Long COVID und Post-Vac-Syndrom häufig Stigmatisierung und Psychologisierung erleben. 

Veröffentlicht am 18.12.2025

© Fotos: Mildred Schmidt (Bild Büchner), Stefan Straube (Bild Prof. Schomerus)

„Hast du schon mal daran gedacht, dass es ja auch ein Burnout sein könnte?“ – Psychologisierung und Stigmatisierung von Menschen mit Long COVID und Post-Vac-Syndrom 

Die Ergebnisse unserer im Sommer 2025 publizierten Befragung zur Stigmatisierung von Menschen mit Long COVID (LC) und Post-Vac-Syndrom (PVS) sind eindeutig: 89 Prozent der über 2.053 befragen Personen (davon 1.398 mit LC und 655 mit PVS) berichten von Stigmatisierung (Büchner et al., 2025). Das Erleben von Stigmatisierung ist dabei eng verknüpft mit der (ebenfalls sehr häufig berichteten) Erfahrung von „Psychologisierung“ der Erkrankungen – gemeint ist damit eine Überbetonung psychischer Faktoren bei der Entstehung, Chronifizierung oder Aufrechterhaltung von LC und PVS. 

Zur Erfassung von Psychologisierung haben wir eine neue Skala und neue Items entwickelt, da zuvor noch keine Untersuchungen dazu vorlagen. 84 Prozent der Befragten berichten von Psychologisierungserfahrungen, die in erster Linie beim Kontakt mit ärztlich-therapeutisch Tätigen erlebt wurden, aber auch im Familien- und Freundeskreis sowie im Kontakt mit Behörden und Kolleginnen und Kollegen stattfanden. Unabhängig von der „Quelle“ wurde Psychologisierung als stark emotional belastend erlebt. 

Unsere Daten bestätigen damit, was zahlreiche Betroffene berichten und was in qualitativen Studien bereits gezeigt worden war: Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang von Stigmatisierung und Psychologisierung. Die von uns gerechneten Modelle identifizieren Psychologisierung als entscheidenden Mechanismus hinter der Stigmatisierung von Menschen mit LC und PVS. Im Umkehrschluss heiß das: einen Beitrag zur Entstigmatisierung leistet, wer sich der Psychologisierung dieser Erkrankungen entgegenstellt.

Dabei ist die Ablehnung der Psychologisierung durch die Betroffenen unabhängig vom Stigma psychischer Erkrankungen. Es geht nicht darum, eine möglicherweise als stigmatisierend erlebte psychiatrische Diagnose abzulehnen. Vielmehr geht es um die Einordnung der eigenen Erkrankung als genauso körperlich wie beispielsweise eine Multiple Sklerose (MS). Auch das zeigen die Daten der Umfrage. Eine entsprechende Veröffentlichung wird aktuell vorbereitet. 

In der bereits publizierten Studie beobachten wir zudem statistisch relevante Zusammenhänge (sogenannte Korrelationen) von Stigmatisierung und Psychologisierung mit unerwünschten Ereignissen. So sind höhere Werte von Stigmatisierung und Psychologisierung mit weniger Lebenszufriedenheit und Selbstvertrauen assoziiert sowie mit einem stärkeren Vertrauensverlust gegenüber der Medizin, mehr Bedenken bezüglich der Offenlegung der Erkrankungen und höheren Werten von Einsamkeit, Depression und Angst. 

Den Betroffenen glauben und von ihnen lernen – auch in Forschung und Versorgung

In einem neuen Projekt werden wir ab Januar 2026 den Behandlungsbarrieren auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte auf den Grund gehen und dafür – unseres Wissens nach – zum ersten Mal systematisch eine große Stichprobe von Behandelnden zu Long COVID und ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom) befragen. Gefördert wird das Projekt vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (mehr Informationen: innovationsfonds.g-ba.de/projekte/uncover.767)

Das Forschungsprojekt wird von einem Betroffenen-Beirat begleitet, der aktiv in die Entwicklung der Befragung eingebunden sein wird. Auch diesen partizipativen Ansatz wollen wir dokumentieren und evaluieren, weil wir fest überzeugt sind: Wer die Forschung und Versorgung von Menschen mit Long COVID und ME/CFS verbessern möchte, sollte auf die Betroffenen hören und mit ihnen zusammenarbeiten. Die Geschichte von ME/CFS zeigt deutlich, dass viel zu lange Stigmatisierung und Psychologisierung den Diskurs bestimmt haben und dabei neben mangelnder Forschung und Versorgung auch das Vertrauen in Medizin und Wissenschaft aufs Spiel gesetzt wurde. Dieses Vertrauen gilt es nun zurückzugewinnen – und das geht nur gemeinsam mit den Betroffenen.

Vita

Frau M. Sc. Ronja Büchner ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Psychiatrie und Gesellschaft“ von Prof. Georg Schomerus an der Universität Leipzig. Sie verantwortet innerhalb der AG gemeinsam mit Prof. Schomerus die Themenbereiche Long COVID, ME/CFS und PAIS und beschäftigt sich in ihrer Promotion mit der Stigmatisierung von Menschen mit postviralen Erkrankungen. Zudem befindet sie sich in der Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin.

Herr Prof. Dr. Georg Schomerus ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Wissenschaftlich beschäftigt er sich seit über 20 Jahren mit dem Stigma psychischer Erkrankungen und seit Beginn der Corona-Pandemie auch mit dem Stigma um Long COVID und ME/CFS. Er ist Autor von mehr als 250 wissenschaftlichen Publikationen und zählt international zu den führenden Forschenden im Bereich der Stigmatisierung. 

Quellen: 

Büchner, R., Sander, C., Schindler, S. et al. “Have you considered that it could be burnout?”—psychologization and stigmatization of self-reported long COVID or post-COVID-19 vaccination syndrome. BMC Med 23, 488 (2025). doi.org/10.1186/s12916-025-04335-0

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