Hinweis: Der folgende Text ist ein Gastbeitrag. Er gibt die persönliche Auffassung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Der Beitrag ist keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Gesundheit.

Gastbeitrag: Katrin Kunert

Der Gastbeitrag von Katrin Kunert, Vizepräsidentin für Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) e.V., legt einen Schwerpunkt auf den ganzheitlichen Ansatz von Rehabilitationssport als vielversprechende Möglichkeit, um auf die vielfältigen Beeinträchtigungen der Long-COVID-Patientinnen und -Patienten im physischen und psychischen Bereich einzugehen.

Veröffentlicht am 13.02.2024

Portraitfoto Katrin Kunert

Rehabilitationssport – eine Chance für Patientinnen und Patienten mit Long COVID

„Post-COVID-Ambulanzen“ bieten Betroffenen von Spät- und Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung eine erste Anlaufstelle. Am Ende der Rehabilitationskette eröffnet ergänzend hierzu der in § 64 SGB IX verankerte Rehabilitationssport durch seinen ganzheitlichen Ansatz eine vielversprechende Möglichkeit, auf die vielfältigen Beeinträchtigungen der Long-COVID-Patientinnen und -Patienten im physischen und psychischen Bereich einzugehen.

Die Beschwerden bei Long COVID sind zahlreich und treten ganz unterschiedlich einzeln oder in Kombination auf. Im Rahmen der Nachsorge von Long-COVID-Patientinnen und -Patienten muss dieses breit gestreute Spektrum an Beschwerden Berücksichtigung finden. Ebenso muss die psychische und emotionale Belastung durch Krankheit und Zukunftsängste der Betroffenen beachtet werden, sodass oftmals eine einzelne therapeutische Intervention in Form von beispielsweise Physiotherapie, Ergotherapie oder neuropsychologischer Betreuung nicht ausreichend ist. Hinzu kommen teils lange Wartezeiten für z. B. psychologische Behandlungen von Depressionen und Angststörungen. 

Eine optimale Versorgung gelingt nur gemeinsam

Hilfe bieten unter anderem neu eingerichtete „Post-COVID-Ambulanzen“. Die Besetzung mit entsprechenden Spezialistinnen und Spezialisten ermöglicht den fachübergreifenden Austausch zwischen ärztlichem und therapeutischem Personal. Dadurch erschließen sich Konzepte im Sinne einer ganzheitlichen Behandlung. Neben ambulanter Behandlung kommen auch stationäre Rehabilitationsmaßnahmen zum Einsatz. Die Schnittstellenproblematik in Bezug auf die ambulante Weiterbetreuung und Fortführung des während einer Rehabilitationsmaßnahme Erlernten ist aus anderen Bereichen bekannt und stellt auch für die COVID-19-Rehabilitandinnen und -Rehabilitanden eine Herausforderung dar. Wie aber kann es gelingen, diesen Personen ein Angebot zu machen, das wohnortnah auf ihre Beschwerden physischer und psychischer Natur gleichermaßen eingeht und nachhaltig wirkt? Hierzu kann der ärztlich verordnete Rehabilitationssport als ergänzende Leistung zur Rehabilitation gemäß § 64 SGB IX einen wichtigen Beitrag leisten.

Der Rehabilitationssport ist vom Gesetzgeber für die Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen oder mit drohenden Behinderungen vorgesehen, daher bietet er bei der Bewältigung und Linderung eines Long-COVID-Syndroms zielgerichtete Möglichkeiten. Er verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, bietet Hilfe zur Selbsthilfe und zielt auf eine Verbesserung physischer sowie psychischer Beschwerden ab, berücksichtigt aber auch soziale Aspekte. So dient Rehabilitationssport zum einen der Verbesserung von Ausdauer, Kraft, Koordination und Flexibilität, zum anderen der Verbesserung der Körperwahrnehmung sowie der Entspannung und wirkt depressiven Zuständen oder Ängsten entgegen. 

Ärztlich verordneter Rehabilitationssport wird von speziell geschulten Übungsleiterinnen und Übungsleitern in festen Gruppen angeleitet, sodass auch die im Hinblick auf Teilhabe und mentale Stabilisierung wichtigen gruppendynamischen Effekte zum Tragen kommen. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) ist der größte Leistungserbringerverband im Rehabilitationssport und stellt sich der Herausforderung, seine etwa 42.000 Übungsleiterinnen und Übungsleiter durch spezifische Fortbildungsangebote bestmöglich für dieses relativ neue Krankheitsbild mit seinen multiplen Facetten zu schulen, um dem eigenen Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Um bei einer Belastungsintoleranz die gefürchteten Crashes infolge körperlicher Belastung zu umgehen, ist es wichtig, die Belastungssteuerung gemeinsam mit der oder dem Betroffenen und der verordnenden Ärztin bzw. dem verordnenden Arzt klar zu definieren. In der Regel kann hier auf Erfahrungswerte aus der bisherigen Rehabilitation zurückgegriffen werden. Das sogenannte Pacing spielt hier eine zentrale Rolle, um die eigenen Energieressourcen schonend einzuteilen, den optimalen Grad der Belastung zu finden und eine Überlastung für die Rehabilitationssportlerinnen und -sportler zu vermeiden. 

Empfehlungen zur Verordnung und Durchführung

Ein essenzieller Aspekt für die zielführende Umsetzung des Rehabilitationssports ist die korrekte Kodierung gemäß ICD-10-Kode auf dem Verordnungsblatt Muster 56 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bzw. Formular G850 der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Der Sportverein und die Übungsleitung müssen anhand der Verordnung die notwendigen Schwerpunkte sowie Handlungsfelder des Rehabilitationssportangebots erkennen können, um die richtige Rehabilitationssportgruppe für die Teilnehmenden festzulegen und geeignete Übungen anzubieten. In einem Einführungsgespräch bekommen die Teilnehmenden zusätzlich die Gelegenheit, sich mit der Übungsleitung zu ihren Erwartungen und individuellen Zielen auszutauschen. 

Die Kommission Medizin des DBS hat anhand der Kodierungsvorgaben durch die KBV hierzu einen Leitfaden erarbeitet, um verordnenden Ärztinnen und Ärzten das Ausfüllen der Verordnung zu erleichtern. Es wird empfohlen, den ICD-10-Kode voranzustellen, der die Diagnose mit der hauptsächlichen Beeinträchtigung darstellt, also z. B. Dyspnoe, Herzrhythmusstörungen, Fatigue, Depression oder unspezifische Rückenschmerzen nach langer Liegedauer. Als zweiter Kode wird dann U08.9 oder U09.9 hinzugefügt. Sie beschreiben Zustände nach einer COVID-19-Infektion. Dabei ist zu beachten, dass der Kode U09.9 grundsätzlich nicht allein stehen darf. Die Grafik stellt die Systematik dar. 

Tabelle: Übersicht zur Zuordnungsfähigkeit von Diagnosen für Rehabilitationssport

Eine Teilnahme am Rehabilitationssport zweimal wöchentlich – in bestimmten Fällen bis zu dreimal wöchentlich – ist zu empfehlen, um den Effekt der Übungen zu optimieren. Nach Inanspruchnahme der in der Regel 50 verordneten Übungseinheiten (gesetzliche Krankenversicherungen) sind mit entsprechender Begründung bei weiterhin bestehender medizinischer Notwendigkeit Folgeverordnungen möglich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rehabilitationssport in Gruppen bei anhaltenden Beschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion mit seinem ganzheitlichen Ansatz eine effektive ergänzende Maßnahme zur Rehabilitation darstellt, um Ziele wie Health Related Quality of Life (HRQoL), Teilhabe am Arbeitsleben und am sozialen Umfeld zu erreichen. Dadurch wird das Heilmittelbudget nicht belastet. Rehabilitationssport bedeutet Hilfe zur Selbsthilfe. Im Sinne des lebensbegleitenden Sporttreibens können im Anschluss an den Rehabilitationssport in den Vereinen des Deutschen Behindertensportverbands weitere Angebote im Rahmen des Breitensports ebenfalls unter hohen Qualitätsstandards wahrgenommen werden. 

Vita

Katrin Kunert ist Vizepräsidentin Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) e.V. Die gelernte Diplom-Ingenieurin und ehemaliges Mitglied des Verteidigungsausschusses sowie Obfrau ihrer Fraktion im Sportausschuss des Deutschen Bundestages (von 2009 bis 2017) ist seit 2017 im Präsidium des DBS vertreten.