Hinweis: Der folgende Text ist ein Gastbeitrag. Er gibt die persönliche Auffassung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Der Beitrag ist keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Gesundheit.

Gastbeitrag: Dr. med. Antje Gottberg

Der Gastbeitrag von Dr. med. Antje Gottberg befasst sich mit den besonderen Herausforderungen, die das neue Krankheitsbild Long COVID für das Gesundheitssystem darstellt. In diesem Zusammenhang wurde dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vom Gesetzgeber die komplexe Aufgabe übertragen, eine Richtlinie zur Versorgung Long-COVID-Betroffener zu entwickeln.

Veröffentlicht am 29.09.2023

Die Ausgangssituation

Long COVID stellt unser Gesundheitssystem vor große Herausforderungen: ein neues Krankheitsbild mit hohem Leidensdruck für die Erkrankten, für das noch keine etablierten Diagnostik-, Versorgungs- und Therapiekonzepte zur Verfügung stehen. Entsprechend groß ist die Verunsicherung bei Betroffenen und Behandelnden. Der Gesetzgeber hat dem G-BA mit seinem Auftrag, eine Richtlinie zur Versorgung Long-COVID-Betroffener zu erlassen, eine komplexe Aufgabe übertragen.

Ziel der Richtlinie

Ziel dieser Richtlinie muss aus meiner Sicht sein, dass auf Basis des derzeit vorhandenen Wissens zunächst eine möglichst schnelle und verlässliche Klärung der Diagnose stattfindet. Berichte von Betroffenen deuten darauf hin, dass in den Praxen hier teilweise noch Unklarheiten bezüglich des Vorgehens bestehen, und zwar in verschiedener Hinsicht: Einerseits berichten Betroffene, ihre Beschwerden würden nicht ernst genommen und verharmlost. Andererseits werden zum Teil zahlreiche Untersuchungen bei verschiedenen Fachärzten durchgeführt, die medizinisch nicht erforderlich sind und den Patientinnen und Patienten auch nicht weiterhelfen. Diese „Patientenodysseen“ gilt es zu vermeiden.

Symptomatische Behandlung als Beitrag zur Linderung

Eine ursächliche Behandlung für das Krankheitsbild steht derzeit nicht zur Verfügung. Aktuelle Daten aus der vertragsärztlichen Versorgung deuten aber darauf hin, dass viele Betroffene mit dem Verdacht auf diese Erkrankung nur für eine begrenzte Zeit eine entsprechende Versorgung benötigen. Auch wenn es keine ursächliche Behandlung gibt, kann doch eine an den individuellen Symptomen orientierte Therapie die Beschwerden deutlich lindern und zur Heilung beitragen. Auch gibt es für schwerer Betroffene inzwischen angepasste und auf die individuelle Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit angepasste Rehabilitationskonzepte, die bei richtiger Anwendung sehr hilfreich sein können.

Koordination als hausärztliche Aufgabe

Entscheidend ist aus meiner Sicht deshalb, dass der diagnostische Prozess und auch die sich daran anschließenden Behandlungsmaßnahmen koordiniert in der Gesamtschau aller Beschwerden und der individuellen Lebenssituation der Patientinnen und Patienten erfolgen. Dies kann die hausärztliche Versorgung in aller Regel am besten leisten. Deshalb sehe ich die Rolle der Koordination der erforderlichen Untersuchungs- und Behandlungsschritte in erster Linie als Aufgabe der Hausärztinnen und Hausärzte.

Aufgaben der Forschung

Long COVID ist eine besondere Herausforderung auch für die medizinische Forschung. Die Entwicklung wirksamer Behandlungsmaßnahmen, die spezifisch für die Behandlung von Long COVID geeignet sind, steckt noch in den Anfängen und muss im Rahmen der öffentlichen Forschungsförderung vorangetrieben werden. Vor allem die meist an Universitäten angegliederten Spezialambulanzen für Long COVID sehe ich hier angesprochen und in der Verantwortung. Sie sollten deutlich mehr methodisch aussagekräftige klinische Studien auf den Weg bringen, um wirksame Behandlungsansätze zu entwickeln. Bei Long COVID gelten die grundsätzlich gleichen Regeln für klinische Forschung und für den Einsatz experimenteller Therapien am Menschen wie in allen anderen Versorgungsbereichen. Die Ungeduld vor allem der schwer betroffenen Patientinnen und Patienten ist nur allzu begreiflich. Der Einsatz ungeprüfter und risikoreicher Therapien hilft aber gerade ihnen nicht weiter.
 

Vita

Dr. med. Antje Gottberg ist Ärztin mit Master-Abschluss in Public Health. Seit 2011 arbeitet sie beim GKV-Spitzenverband in der Abteilung Medizin. In den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vertritt sie den GKV-SV in Beratungen zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und den Erprobungsstudien des G-BA sowie im Unterausschuss zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrags zu Long COVID. Frau Gottberg ist darüber hinaus die Vertreterin des GKV-SV in der Lenkungsgruppe zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin gemäß § 75a SGB V.